Samstag, 19. Mai 2012

Mein Leid Wird Euer Sein / Aus Dem Nichts


Mein Leid Wird Euer sein

Tommy spuckte das Blut und den Sand aus. Ihre Gelenke schmerzten beim Aufstehen, wobei sie nicht den Blick vom Meer ließ, in dem sich der rotgefärbte Himmel spiegelte. Normalerweise wachte sie in ihrem Bett auf. Diesmal nicht. Sie sah sich um. Der Strand, auf dem sie erwachte, erstreckte sich zur Linken bis an den Horizont,  zur Rechten wurde er jäh durch eine künstliche Felsmauer unterbrochen. In einem der Felsen, etwas abseits der Wand, steckte ein Auto. Das Auto ihrer Mutter. Seit ein paar Wochen hatte Tommy den Führerschein und lieh es sich gelegentlich. Die Windschutzscheibe lag in Scherben auf der eingedrückten Motorhaube, am Rückspiegel hing eine Engelsfigur die ihren Dienst als Schutzengel wohl versagt hatte.

Eigentlich tat Tommy  der Figur damit Unrecht, dachte sie, dem Schaden am Auto nach zu urteilen war ihr fast unverletzter Zustand nicht gerade selbstverständlich. Aber vielleicht war sie auch gar nicht am Unfall beteiligt. Tommy konnte sich an nichts erinnern.  Sie sollte erst einmal Zuhause anrufen und ihren Eltern sagen dass sie irgendwo einen Unfall gebaut hat. Sie zog das verschrammte Touchscreen-Handy aus ihrer Hosentasche, das sie mit der Anzeige „Kein Signal“ begrüßte. Typisch.

Jedoch konnte ihr Handy sie mit der derzeitigen Uhrzeit versorgen, es war 19:04 Uhr. Um sich vor der kalten Nacht zu schützen suchte sie das Autowrack nach einer Jacke ab, fand jedoch nur eine Taschenlampe die hoffentlich noch genügend Saft hatte. Sie trug nur ein T-Shirt und Shorts, damit konnte man in südlichen Ländern vielleicht nachts rumlaufen aber nicht hier in Deutschland.

Es schien längere Zeit windstill gewesen zu sein, die Reifenspuren ließen sich im Sand immer noch deutlich erkennen. Was Tommy beunruhigte war dass der Strand in eine Wüste überzugehen schien. So etwas war hier echt nicht üblich. Sie folgte den Reifenspuren, irgendwann müssten sie zu einer Straße führen und die wiederum in eine Stadt in der es bestimmt funktionierende Telefone gab.

Nach einiger Zeit tauchte eine Straße aus dem Sand auf. Sie fing mitten im Nichts an. Das fand Tommy leicht merkwürdig, tat es aber mit der Erklärung ab dass diese Straße wohl noch in Arbeit sei. Sie machte sich schon genug Gedanken darum wie sie überhaupt hier gelandet ist, da brauchte sie sich nicht auch noch mit dieser Frage quälen.

Als ihr Tempo sich auf ein Minimum beschränkte und sie sich grade noch so weiterschleppen konnte kam sie an einer Tankstelle an. Obwohl an den Fenster große Plakate mit der Aufschrift „Rund um die Uhr geöffnet!“ klebten schien kein Angestellter im Tankstellenshop zu sein. Vielleicht war dieser auch gerade im Personalbereich. Zumindest müsste sie hier ein Telefon finden oder könnte hier wenigstens übernachten. Die Tür öffnete sich automatisch und sie betrat den Laden.

„Hallo?“, krächzte sie. Niemand kam. Nach einigem Warten schlich sie sich hinter die Theke und versuchte die Tür zum Personalbereich zu öffnen. Verschlossen. Kurz dachte Tommy nach sich einfach was aus den Regalen zu nehmen, sie hatte Hunger und Durst, entschied sich jedoch dagegen, sie war davon überzeugt dass sie nicht alleine war. Sie lauschte ob sie hinter der Tür Geräusche hören konnte. Es war still. Nichts regte sich.
„Tomke?“
Tommy zuckte zusammen und fuhr herum.

 The floor is cold. It smells bad. Something rolls off her arm and hits the floor. A syringe. What happened? Did that thing stick in her arm? Where the hell is she? She lies on the floor right beneath a smelly toilet in a small cabin. Definitely not the place she would want to wake up at. Was she hurt? No. Everything seems fine. Except that her head feels like it’s about to burst. She feels miserable. After some time she manages to get up. Her legs are so weak. She wants out. She gets out of the cabin. It seems like she is in some public restroom. She feels dirty. She goes over to the sink and washes her hands and face. On the other side of the mirror was a zombie looking at her. She couldn’t wash it away. She slowly stumbles out the door. She was hungry. She enters a gas station shop. There was another person there. The ponytail and that blue baggy t-shirt.
“Tomke? Is that you?”
The girl jumps and turns around.
“… Henrietta? What the hell are you doing here?”
“You tell me. Fuck, I’ve got such a headache.”
Tommy just arrived to catch her friend before she could land on the floor.
“Are you okay?”
“Fuck, no…”
“Dude, just hang on, I’ll fix you.”
Tommy got Henrietta something to eat and drink. She was sure the shopkeeper would understand. Maybe that’ll make her feel better. Probably not.
“Tommy, where the hell are we?”
“I don’t know Henry…”
“Well, how did you get here?”
“I woke up at the beach. I had a car accident.”
“Shit, are you alright?”
“Yeah, I’m fine.”
“But where is a beach anywhere near where we live?
 “I guess I fell asleep and accidentally drove all the way up to the coast.”
“Do you have a navigation system in your car?”
“No, I don’t… I have an app for that, but my phone gets no signal.”
“There has to be a way for us to find out where we are.”
“Let’s wait here until the shopkeeper comes back.”
“I don’t want to sleep here.”
“Well, either here or outside with the monsters.”


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Es war so dunkel. Jedenfalls dachte Jackie, dass es dunkel war. Es war schwer zu sagen ohne Augen. Ihr Hals tat weh. Rostige Nadeln innerhalb des Halsbandes bohrten sich durch ihr Fleisch. Das Halsband war an die Wand gekettet. Blut tropfte aus ihren leeren Augenhöhlen. Sie konnte sich nicht umsehen, konnte nur ein Stück des Bodens erfühlen. Kalter Stahl. Sie wollte um Hilfe schreien, doch die Worte starben in ihrer trockenen Kehle. Sie war so durstig. Es tat weh.

Trotzdem fühlte sich ihr Körper besser an. Als hätte sie viel zu enge Kleidung gegen gemütliche Pyjamas getauscht. Keine steifen Knochen die die Bewegung einschränkten. Wenn Bewegung nur nicht so weh tun würde. Sie versuchte die Kette mit einem Ruck aus der Wand zu reißen, es ließ sie aber nur vor Schmerz aufjaulen. Dann saß sie nur da. Wartete. Sie wusste nicht wie lange.
 Der Durst wurde unerträglich. Sie leckte nach jedem Blutstropfen der aus ihren Augen kam, doch das reichte nicht. Sie bräuchte eine größere Wunde, dachte sie. Mehr Blut. Wahnsinn. Sie grub ihre Zähne in ihren Unterarm. Sie waren ungewohnt scharf und drangen ohne Probleme bis zum Knochen durch. Vor Schreck riss sie ihren Arm weg. Ein großer Fleischfetzen blieb zwischen ihren Zähnen. Der Schmerz war unbeschreiblich, doch sie wollte keinen Tropfen vergeuden. Du bist wahnsinnig. Wie lange bist du hier schon? Ein paar Tage? Und du fängst schon an dich selbst zu essen? Sie wusste nicht wie viele Tage es waren. Sie legte sich zur Seite und knabberte an dem Fleischstück herum. Hatte sie überhaupt schon einmal geschlafen? Waren vielleicht erst wenige Stunden vergangen? Sie wollte schlafen doch Schmerz hielt sie wach. Nach einiger Zeit spürte sie ihn nicht mehr. Sie setzte sich wieder aufrecht. Das Fleisch an ihrem Arm war nachgewachsen. So große Wunden können doch gar nicht von allein zuwachsen, oder? Niemand beantwortete die stumme Frage.
So allein.
War da ein Geräusch? Jackie lauschte.
„Hallo?“
Keine Antwort.
Lautes Atmen. Jemand war da.
„Wer ist da?“
„Bleib weg von mir okay?!“
Die Stimme war verängstigt.
„Wer bist du?“
„Was bist DU?!
„Ich bin Jackie, kurz für Jacklyn.“
„Ich fragte was du bist.“
„Ein Mensch.“
„Ja klar, was ist mit deinen Reißzähnen?“
Darauf wusste Jackie keine Antwort.
„Du bist ein Monster. Warum würde man dich sonst hier festketten? Dir die Augen ausstechen?“
„Vielleicht… bin ich nicht mehr so menschlich. Aber ich werde dir nichts tun, versprochen!“
„Und wenn du das nächste Mal Hunger kriegst beißt du in dein eigenes Fleisch anstatt in meins?“
„… Ja.“
„Wer’s glaubt.“
Stille.
„Wie heißt du?“
„Alice.“
„… Bist du ein Mensch Alice?“
„Nein.“
„Was dann?“
„Ich weiß es nicht.“
„… Wo sind wir?“
„Gefangen.“
„Kommen wir hier raus?“
„Nein.“
„Ich glaube dir nicht.“

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